Anneliese Euler
Main-Echo
16. Mai 2000
Doris Kaiser schafft meditative Räume. Ihre Objekte, die in der Johannesberger Galerie Metzger zu sehen sind, atmen völlige Stille. Sie sind in sich gänzlich geschlossen, auch wenn sie Vertiefungen und Mulden als Öffnungen anbieten. Die kastenförmigen Wand- und Bodenplastiken der 1958 in Trier geborenen Künstlerin, die an der Fachhochschule Niederrhein, Krefeld, studierte und dort seit 1988 im eigenem Atelier arbeitet, lassen keine Abschweifungen zu. Ihr Gehäuse ist Äußeres und Inneres zugleich. Das heißt, dass Doris Kaiser, die 1999 den Künstlerinnenpreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhielt, mit der Form auch der Inhalt gelungen ist. Ihre Kunst kennt keine Trennung. Alles, was sie aus Ton und Gips bildet, fügt sich zur Einheit zusammen. Die Sinnlichkeit, die in dieser Klarheit wohnt, verschließt sich dabei wie eine Auster und lässt die Schönheit der stets weißen Objekte aus Innen- und Außenraum erstehen.
Das Material, mit dem Doris Kaiser arbeitet, Ton und Gips, ist in dieser Verbindung höchst ungewöhnlich. Der erdhafte Ton beinhaltet ein Urvertrauen in die Möglichkeit des Lebens, das sich in lebhaften Spuren von Gestaltung niederschlägt und hineingeknetet wird in das noch weiche Material. Auch das Gehäuse selber bildet eine Metapher für Schutz und Behütung, zeigt sich im selben Atemzug aber auch auf eine berührende Weise verletzlich. Dieser Eindruck erwächst aus dem Material Gips, das Doris Kaiser völlig mit dem Ton vernetzt. Gips selber gilt allgemein nicht viel. Ihm lastet der Ruch von glattem Schein an und billiger Tünche, die Kunst imitiert. Hier aber wird der negative Aspekt in eine Tugend verwandelt. Doris Kaiser geht mit dem Material um wie mit einem rohen Ei, das all zu leicht zerschellt. Sie betont seine Glätte und auch seine Künstlichkeit und erzielt dadurch einen hohen puristischen Effekt, der sich in der Verbindung von Ton und Gips potenziert und durch die Oberflächenbehandlung die Kälte von Gips und die natürliche Wärme von Ton in eine feine Haut verwandelt, welche fragile Unnahbarkeit gewinnt. Ihre kühle Schönheit weist ab und lockt durch muldenförmige Vertiefungen und feinste Nähte zugleich hinein in diese strengen Räume, deren Geometrie einen sakralen Ton birgt. Dieser entsteht nicht nur durch die hoch konzentrierte Architektur der Objekte, sondern auch und vor allem durch den gesammelten Gefäß-Charakter, der an kostbare Schreine erinnert.
Die gänzliche Zurücknahme aller Äußerlichkeit macht auf jede Farbveränderung in den Weißtönen aufmerksam und auf jede Wölbung, auf die Aufrauhung von Ton, die den Mulden Leben verleiht, auf Körnungen und Fingerspuren, die sich intensiv persönlich mitteilen, auf die scharfen Kanten, die wie Grate erscheinen, auf die Einschnitte in das noch weiche Material, die an schmerzhafte Risse und Verletzungen denken lassen, auf die zierlichen Graphitlinien. welche die Form unterstreichen, und auf die durch die Verbindung von Gips und Ton sich ergebende, schattenhaft aufblühende leicht grünliche Farbgebung. All diese Aspekte verbinden sich räumlich zu einem schwerelosen Ganzen und gewinnen eine Durchsichtigkeit, welche die stoffliche Gegenwart der Skulptur vergeistigt.