BILDHAUERIN

Gabi Dewald
Keramik-Magazin
2/2000

Gedanken – Kästen

Zu den Arbeiten von Doris Kaiser

„Es hat ja auch immer mit Widerstand zu tun“, sagt sie und schaut aus dem Fenster. „Natürlich geht es um den Raumbezug. Aber da ist auch immer ein Gedanke der Verweigerung. Heute ist alles viel, laut und schnell. Ich arbeite mit der Leere.“

Doris Kaiser zählt zu den keramischen Bildhauerinnen, die seit Jahren beständige Qualität liefern, die bei allen wichtigen Wettbewerben und Ausstellungen ganz vorne auftaucht und die auf eine stille und unbeugsame Art insistiert, dass ihre Arbeiten auch außerhalb keramischer Zusammenhänge rezipiert werden.

Wer Kaiser beobachtet, gewinnt den Eindruck, dass sie nicht nur sehr unbeirrbar, sondern vor allem hart arbeitet und dabei sehr aufrecht die Nackenschläge einsteckt, die ihr von rechts und links zuteil werden: Den einen ist ihre Arbeit nicht keramisch genug und den anderen ist daran entschieden zu viel Keramisches.

Die Arbeit selbst scheint die 41-jährige Krefelderin dabei zu stärken, zu ermutigen und immer wieder für diesen komplizierten Weg zu begeistern. Seit langem schon vereint Kaiser in ihren Stücken zwei Materialien, die Keramikerinnen ansonsten peinlichst auseinander halten: Ton und Gips. Dabei ist der Ton stets der Träger der sensiblen Botschaften, der Gips jedoch der starre Mantel, der Rahmen, ein Behälter für die leise bewegten Innenflächen aus Keramik. Die Farbskala umfasst ausschließlich Weißtöne.

Raum – Container

Sie selbst stellt den Aspekt des Raumbezuges vorne an. Trotzdem sind ihre Arbeiten nicht interaktiv, vielmehr in sich geschlossene Positionen. Kaisers Arbeiten sollen dementsprechend weniger auf den sie umgebenden Raum einwirken oder in ihn eingreifen, sondern den Raum und dessen spezifische Atmosphäre durch ihre Gegenwart und ihre Anordnung bewusst machen. Geschaffener Raum ist immer definiert und zweckgerichtet, macht Ver-Sammlung möglich, ist Hülle und Behältnis für Aktion und Intentionen, die „Hardware“ für menschliche Vorhaben.

Raum ist in diesem Sinne immer auch Schutz-Raum. Kaiser pflanzt diesen künstlich geschaffenen Orten Sinnbilder ihrer selbst ein und doppelt dabei den Begriff von Behältnis noch einmal: Der tönerne Kasten, bei 980 Grad gehärtet, wird von einer Gipsschale ummantelt, die dem irdenen Kern angegossen wird.
Die Mitte bleibt – leer. Die Außenhaut nun ist anonym und ohne Aussage.
Ist das solchermaßen zweischalige Stück aus der Form genommen, werden die Gipsflächen so lange verschliffen und gespachtelt, bis völlig glatte Oberflächen auf den Würfeln und Quadern entstehen, mit scharfen lot- und waagerechten Kanten und feinen, exakten Graten. Die Übergänge vom Gips zum Ton sind passgenau und ohne Nahtstelle angearbeitet. Fast unmerklich also ist der Übertritt vom Außen zum Innen, wo die Oberflächen mit hunderten von Fingermarken gestaltet und durch-rhythmisiert sind.
Im Gegensatz zu dem kalten, eher zum Grau oder ins bläuliche tendierenden Weiß des Gipskastens, ist die Farbe der Keramik warmtonig und geht über das cremige Weiß hinaus ins helle Beige. Zudem zeigen sich hier des Öfteren schwefelgelbe Aus­blühungen, da, wo der Gips im Laufe der Zeit in den Ton hinein reagiert.

Kaiser thematisiert damit eine Kulturleistung des Menschen – den gebauten Raum – sowie dessen Sinn – geschützte Orte zu schaffen – und führt durch die Reduktion der Mittel auf grundständige Überlegungen über dessen Idee und Funktion zurück.
Sie selbst sagt: “Für mich sind meine Behältnisse Gedanken-Kästen.“

Grenze – Haut

Sehr ausdrücklich vollzieht sie Abgrenzungen, seltsam isoliert behaupten sich ihre Container als Zitat, Echo und Essenz des sie umgebenden Raumes. Sie bleiben bei sich selbst. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung arbeitet Kaiser schließlich mit MDF-Platten, dem Material, das garantiert keine Reaktion auf wechselnde Luftfeuchte, Temperatur und Licht zeigt. Hier wurde um den Gipsmantel eine weitere Schutzschicht gelegt. Und spätestens jetzt fällt ins Auge, dass das starre, sachliche Material Gips, gewählt für die Außenhaut, eigentlich enorm empfindlich, brüchig und leicht verletzbar ist. Wohingegen der innenliegende, derart geschützte Keramikkern stoßfest, aber auch elastischer und weniger leicht zu beschädigen ist. Während die Grenze zur Umgebung ausdrücklich ist, schmiegen sich die beiden Materialoberflächen, die Gips- und die Tonhaut, passgenau aneinander. Dazu kommt, wie schon erwähnt, dass sich die Materialien selbst durch chemische Reaktionen durchdringen und verbinden. Auch wird unter dem Gips hie und da, dort, wo er den Tonkörper nur wie eine dünne gipserne Membran überzieht, dessen Struktur sichtbar.

Sicherlich dient Haut der „Existenzbestimmung“, wie Kaiser sagt, und dazu gehört eben beides: die Definition des Selbst und die Bereitschaft zur Kommunikation. Die Empfindsamkeit der verwendeten Materialien – miteinander und in bezug auf äußere Einflüsse – und die subtile Farbbehandlung zeigen, welchen Stellenwert Kaiser dabei der Sensibilität beimisst. Die enorme Stille, die ihre Arbeiten geradezu evozieren, ist Verweis auf die Gefahr, dass diese Bedingung, als Voraussetzung zu differenziertem Erleben und Reaktion, im lauten Getöse der Bilder- und Geräuschflut des Alltags allzu leicht verloren geht. Kaiser: „Es gibt keine Wahrheit an sich. Aber klare Positionen, die man beziehen sollte, und innerhalb derer reiche Differenzierungen, auf die es ankommt.

Was also ist Haut? Austauschfläche? Grenze? Kontaktstelle? Schleißt sie aus oder schleißt sie auf? Weist sie zurück oder macht sie Diffusion und Austausch möglich? Dient sie der Be- oder Entgrenzung?

Struktur - Linie

Dem glatten Äußeren steht das durchgearbeitete Innere entgegen. Während das Außen nur spärliche Anhaltspunkte bietet, ist das Innere hoch informiert. Der Finger­abdruck hinterlässt die Spuren der Haut, die Form der Fingerkuppe, den Rhythmus der arbeitenden Hand, die Stärke der Berührung. Die Boxen können weit offen sein, manche aber bieten nur schmale Sehschlitze nach innen an, bei anderen sind es breitere Spalte, die Einblick gewähren. Diese Fingerspuren sind konstruktiv: Kaiser baut zunächst eine Holzschalung, die sie dann mit dem weißen Ton ausdrückt, ehe sie ihn nach dem Brennen - in einer weiteren Schalung - mit Gips umgießt. "Diese Arbeit ist sehr meditativ", sagt sie. "Man gibt sich ganz hinein in den Zeitverlauf und verliert sich regelrecht in den weißen Flächen." Der Einblick, der dem Betrachter dann gewährt wird, ist dementsprechend intim, und die Bildhauerin schwankt immer wieder, inwieweit sie diesen gewährt oder verwehrt.

In den jüngeren Arbeiten ist eine Wendung zu beobachten: Aus den tiefen Kästen sind flache Blöcke geworden, die nur noch die Vertiefung einer wannenartigen Mulde aufweisen. Das Thema des Innen und Außen tritt zurück. Die Oberflächen sind geglättet. Als Kontaktstelle in den Tonkörper hinein bleibt nur noch eine feine Linie, die sie mit scharfer, dünner Klinge in die noch feuchte Masse ritzt oder aber - in einer weiteren konsequenten Minimierung - nur noch als schwarzen Graphitstrich über die rauhe Oberfläche des gebrannten Tones laufen lässt. "Manchmal denke ich: Bald gibt es nur noch einen Gipsblock mit einer Linie, sonst nichts mehr." Und sie redet darüber, dass sie der Gedanke, "immer unverständlicher zu werden", schreckt: "Ich bemerke eine Tendenz dazu, die Dinge immer mehr zu schließen, und ich stelle mir die Frage der Mitteilbarkeit."

Konzept und Ereignis

In früheren, durchaus auch kräftig farbigen Arbeiten, waren die Spuren noch Abdruck real existierender Dinge außerhalb des betreffenden Stückes: etwa ein altes Blech, das sie in den feuchten Ton presste und das dann Rostpartikel und die Narben einer verwitterten, angegriffenen Oberfläche zurückließ. Ausdruck dafür, "dass etwas geschieht durch äußere Bedingungen, mit denen ich zu arbeiten habe. Nichtbestimm- bares, Zufälliges". Das alles jedoch schon in einem festen Rahmen, den sie vorgab, als Hilfsmittel, wie sie sagt. "Ich ordne die Struktur an, innerhalb derer ich mich bewege. Ich glaube an Ordnungssysteme und daran, dass jeder Strukturen braucht, um leben zu können."

Dieser Führung durch die Ratio stellt sie selbst das Sich-Ereignende gegenüber, dem sie somit Raum gibt. Es wird in ihren Stücken quasi als Ereignis isoliert, um es so studieren und nachempfinden zu können. Dabei handelt es sich etwa um die unbewussten Rhythmen der Finger, um Verfärbungen, die auftauchen, oder Untergründe, die verschwommen sichtbar werden, wie eine Furche, die aufspringt im massiven Material. Dass sich Kaiser dabei auf wenige Phänomene beschränkt, hängt mit ihrer tiefen Überzeugung zusammen, dass diese Beschränkung auf das Wenige und auf das Einfache zu innerer Freiheit und letztlich zu Erkenntnis führt.

Diese "Ereignisse" sieht sie auch als Hilfestellung für die Betrachterinnen, Zugang zu ihren minimalistisch konzipierten Stücken zu bekommen. " Die Arbeiten sind streng - es ist also wie eine Milderung, es öffnet, weckt die Bereitschaft, sich auseinander zu setzen." Doch es sind nicht taktische Überlegungen, die dazu führen, diese " Ereignisse" als sinn- liche Einstiege und visuelle Köder auszulegen. Vielmehr ist die Künstlerin selbst faszi- niert davon: Gerade diese unsteuerbaren Vorgänge sind ja Grund und Auslöser für ihr künstlerisches Konzept. Indiz für diese Faszination ist die traumwandlerische Balance, die Kaiser seit Jahren hält, dieses Zusammenbinden von Minimierung und haptischen Reizen. Das Ergebnis ist eine kontemplative Ästhetik, die auf einem sehr geistigen Boden Natur zelebriert.

Freiheit und Beschränkung

Mit wenigen, klaren Parametern steckt Kaiser das Feld ab, innerhalb dessen sie sich bewegt. Die Kästen sind selbst ein Symbol für das scheinbar gegensätzliche Paar der Freiheit und Beschränkung. Der fest definierte Raum schützt zwar den Kern - aber er umpackt ihn auch fest, fest eingegossen ist er, umschlossen. Und dadurch wiederum:gehalten. Zwei Seiten einer Medaille, die stets auch an die Regeln religiöser Askese erinnern: Im Verzicht liegt die Freiheit, in der Beschränkung die Entgrenzung, in der Reduktion auf das Wenige der Empfindungsreichtum.

Ganz sicherlich ist deshalb die Haltung zu den Plastiken von Doris Kaiser eine Einstellungssache. Doch wer sich ihrem Denken verwandt fühlt oder öffnen kann, wird die Qualitäten erkennen, die ihre Stücke von vielen, die in vergleichbarer Richtung arbeiten, abheben. Gerade minimale, reduzierte Objekte tendieren dazu, vor allem die Intellektualität ihrer Autorinnen unter Beweis stellen zu wollen. Hier wird das Material gerne entseelt und als Träger klug erdachter Konzepte missbraucht. Ein folgenschwerer Fehler, denn er führt dazu, dass die Dinge, sobald man ihr gedankliches Schema entschlüsselt hat, flach werden und "verbraucht" sind.

Wenn Kaiser auf die Frage, warum sie ausgerechnet noch und immer wieder mit Ton arbeitet, sagt: "Es ist einfach ein tolles Material. Es riecht lecker, es fühlt sich gut an, es ermöglicht feinste Nuancen im Plastischen, weil es lange formbar bleibt und trotzdem Stabilität hat", dann ist es eine "Liebeserklärung", die nicht sentimental an einem Material, das man nun mal kennt, festkrallt. Dass sie darüber hinaus auch andere Materialien verwendet, spricht zudem für ihre innere Unabhängigkeit. Es ist Ausdruck einer Erfahrung, die die Bildhauerin täglich in ihrem Atelier neu macht, weil es sich perfekt mit ihrem gestalterischen Anliegen schließt. Ton ist der Garant dafür, dass ihre Wand- und Bodenarbeiten trotz aller Nüchternheit über das Maß an Poesie verfügen, was nur das Nicht-Fassbare mit sich bringt, weil es unseren eigenen Anteil am Chaos dokumentiert. Und das ist eben die Quelle aller Kreativität. Es sind genau diese Phänomene – oder Rätsel-, die unseren Geist beschäftigen, die das Pendel in Bewegung halten und die zu kulturellen Leistungen führen.

Kaiser wird ihre Forschungen vorsichtig,im ihr eigenen Zeitmaß ("Ich bin sehr langsam.")und beständig weitertreiben. Unübersehbar ist ihre Affinität zum Grafischen. Immer mehr geht sie aus dem Dreidimensionalen in die Flächen und diese beispielsweise werden als keramische Platten nicht mehr eingebaut, sondern nurmehr auf Gipstafeln aufgelegt oder diesen gegenübergestellt.

Auch das Auftauchen runder Formen, mit dem unsicheren Stand und der nur noch punktuellen Berührung, deutet neue Wege an. Dazu kommt, dass sie in den letzten Jahren zunehmend mit Kunst am Bau beauftragt wurde. Hier fasziniert sie nicht nur das mögliche Format ("Acht Meter sind schon klasse!"),sondern vor allem die Möglichkeit,die Arbeiten direkt in die Wände einzuputzen bzw. sie einzulassen und zu vermauern. Die Frau, die 1999 den "Künstlerinnenpreis Nordrhein-Westfalen" gewann, lässt keinen Zweifel daran, dass das Material Ton für sie keinerlei Beschränkung beinhaltet, sondern im Gegensatz ein inspirierender Gefährte ist auf einem Weg, den sie bis hierher gerne mit ihm teilte.

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