BILDHAUERIN

Dr. Gabriele Uelsberg
in Katalog:
"Doris Kaiser - An Rändern"
Kunstmusum Mülheim 2005

Doris Kaiser – Zwischen Skulptur und Plastik

In Doris Kaisers künstlerischem Werk verbindet sich skulpturales mit plastischem Schaffen auf ganz besondere Art und Weise. Die Künstlerin hat seit vielen Jahren die gestalterische Materie zum Ausgangspunkt ihrer Werke gemacht, der klassisch gesehen das Prinzip der Plastik existenziell innewohnt, nämlich der Ton. Dennoch schafft Kaiser keine Plastiken sondern Skulpturen im eigentlichen Sinne, denn die Art und Weise, wie sie mit dem Material Ton umgeht, ist von der ursprünglichen handwerklichen Verwendung des Stoffes so deutlich entfernt, dass es ihr gelingt, der Keramik völlig neue – eben skulpturale - Qualitäten abzuringen. Die ursprüngliche Eigenschaft des Tons, den die Menschen schon seit der Urgeschichte dazu verwandten, um in ihm ihren Abdruck zu hinterlassen, um ihn zu den bekannten unterschiedlichen Gestalt- und Funktionsgefäßen zu formen, hat Doris Kaiser hinter sich gelassen und gibt dem Grundstoff Ton eine erweiterte Struktur und damit auch Bedeutung. Doris Kaiser baut Raumkörper, die aus unterschiedlichen Materialien, meist Gips, unter Einbeziehung von Ton bestehen und die sich deutlich und klar vom umgebenden Umraum abgrenzen. Diesen zunächst klaren und hermetischen Körper verleiht sie dann in einem zweiten Schritt Oberflächen, die Berührbarkeit und Verletzlichkeit in sich tragen und nahezu organische Qualität besitzen. Die Raumskulpturen definieren sich dann im Wechselspiel von Distanz und Nähe, von Solidität und Zerbrechlichkeit.

Doris Kaiser nutzt in ihren Skulpturen auch die besondere Anziehungskraft und Ausstrahlung, die Keramik auf alle Menschen seit jeher ausgeübt hat und die in fast allen Naturreligionen ihren Niederschlag gefunden hat. Die Bearbeitung von Ton und die Möglichkeit, daraus selbst schöpferisch Figuren und Gestalten entstehen zu lassen, präzisiert offenbar ein Urbedürfnis der Menschen schlechthin. Die Künstlerin wagt es – im Bewusstsein dieser spezifischen Wirkung von Ton -, diesem Urbedürfnis zu widerstehen und genau diese Erwartungshaltung des Betrachters zu unterlaufen. Ihr gelingt dies, indem sie den Ton sehr klar, sehr präzise und absolut unfigürlich verwendet.

Doris Kaiser arbeitet formgestalterisch mit klar definierten geometrischen Volumina, die sie in architektonischer Präzision als Wandobjekte, Bodenobjekte oder Raumskulpturen konfektioniert. Diese klaren, sich abgrenzenden Raumkörper öffnet sie, bricht sie auf und kombiniert sie mit Oberflächen und Füllungen, die aus Ton beste-hen und in ihrer besonderen Haptik einen Kontrast zu den glatten und scheinbar unpersönlichen Oberflächen der Kuben und Architekturen bildet. Diesen Kontrast von Oberflächen verstärkt Doris Kaiser durch den oftmals nur minimalen Grad der Abweichung von rechtem Winkel und einer scheinbaren „Wasserwaagensicherheit“. Die Oberflächen auf Ton, die an die glatt polierten Oberflächen der Gipselemente stoßen, haben Schwellung und Einziehung, bergen Abweichungen in sich und tragen damit einen hohen Grad an Individualität und nahezu persönlicher Setzung. Der von der Künstlerin modellierte Ton wird immer wieder in skulpturale, eher noch architektonische Kontexte eingewoben und kontrastiert mit den Schnitten und Kanten der plastischen Skulpturen.

Diese besondere Qualität der Oberflächen steigert sie indem sie mit Einschnitten immer wieder in den Raumkörper hinein arbeitet und die Oberflächen öffnet. Dadurch macht sie die Verletzlichkeit evident und zeigt in der Aufbrechung noch deutlicher den Kontrast der verschiedenen Segmente. Die potenzielle Formbarkeit und die organische Weichheit des Tons wird so nachhaltig bestätigt und mit der Strenge von geometrisch architektonischen Gipsformen, die glatt und hart an die weichen Flächen angrenzen, kontrastiert.

Oberflächen werden zu Spurbildern einer prozessualen Zeit, die Kaiser immer wieder thematisiert, ohne in jenen informellen Duktus zu geraten, der allzu gefällig nur mit Oberflächenstrukturen spielt. Alle jene Kontrast- und Gegenübersetzungen, die sich in ihren Arbeiten formulieren lassen, finden im Grade einer minimalen Angleichung statt und werden nicht auf laute Effekte hin ausgerichtet. Die Subtilität ihrer Arbeiten wird dadurch gesteigert, dass sie auch in der Farbigkeit von Ton und Gips eine hohe Angleichung erreicht, die sich allein in der delikaten Farbverschiebung im Tonbereich von Weiß relativieren lässt. Man muss schon genau hinsehen, um in den Arbeiten von Doris Kaiser jene Farbvielfalt der Tonoberflächen im Gegensatz zu den klassisch weißen Flächen der Gipsoberflächen zu erkennen und ihren besonderen Farbklang zu erspüren.

Betritt man einen Raum mit Skulpturen von Doris Kaiser, so ist man im ersten Moment von der Klarheit und Strenge der kubischen Objekte eingefangen. In der näheren Betrachtung zeigt sich jedoch in jeder einzelnen Arbeit der besondere Kontrast zwischen den geometrisch strengen und den sich organisch entwickelnden Elementen in den Oberflächen der Volumina und Farbigkeiten. Die Materialkombinationen, mit denen Doris Kaiser hier ihren Spannungsbogen aufbaut, sind in ihren Arbeiten unendlich wandelbar und bedürfen keiner jeweils neuen Formfindung. Die Unterschiede in Maßstäblichkeit und Gewichtung von Formen und Maßverhältnissen sind so minimal wie möglich mit maximaler Aussagekraft gesetzt. Die plastischen Skulpturen, die Doris Kaiser schafft, sind in ihrer Dimension „fassbar“, denn die hand-werkliche Umsetzung jener Arbeiten ist für die Künstlerin sehr wichtig und bezieht sich selbstverständlich auch auf die Möglichkeiten ihrer eigenen Person. Der Betrachter ist somit leicht in der Lage, einen direkten Dialog zu den Skulpturobjekten aufzubauen, die ihn nicht überwältigen, sondern denen er sich auf gleicher Ebene nähern kann. Im Kontext ihrer Raumvolumina verhalten sich die skulpturalen Plastiken von Doris Kaiser auch immer im Spannungsbogen der sie umgebenden Architektur. Sparsam sind die Setzungen, die mit diesen Arbeiten verbunden sind und vielfältig die Wahrnehmungsebenen, mit denen wir uns als Betrachter auseinandersetzen können. Die Präzision der Betrachtung und die Subtilität der Oberflächen strahlen gleichsam auf den sie umgebenden Raum aus und verlangen genaueste Betrachtung. In ihrer direkten Setzung auf Boden oder Wand ohne Sockelung oder Postament nehmen sie direkt Bezug auf die menschliche Maßstäblichkeit und verorten Arbeit und Betrachter am gleichen Ort.

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