BILDHAUERIN

Hans Joachim Albrecht
in Katalog: "Feuerwerke"

Doris Kaiser — Ausschweifen in begrenzten Räumen

Eine zarte, lichte Atmosphäre hebt die Enge der Werkstatt auf. An weiß getünchten Wänden, auf staubigen Dielen, hängen, stehen aus Gips geformte kubische Behälter, deren scharfe Kanten und Winkel auch in etwas diffuser Beleuchtung deutliche Richtungen vorgeben. An den Innenseiten ihrer Wände haben sich noppig-wellige Tonplatten angelagert. Eindringendes Licht erweckt ihre Oberflächen aus der Geborgenheit, zieht den Blick an und läßt ihn tastend über ihre empfindsam bewegten Gründe wandern. Dauer und Konzentration ihrer Entstehung sind zu fühlen, wie bei jener energischen Faktur, die ein Spitzeisen in einem Sandsteinbecken hinterlassen hat.

Ein Wand-Objekt zeigt sich in frontaler Entfaltung und stellt die beiden Werkstoffe mit ihren konträren Fakturen direkt nebeneinander: die glatt gezogene, in sich etwas schlierige grauweiße Gipsschicht neben das körnig-rauhe, mit beständigem Fingerdruck geknetete Tonrelief. Demgegenüber umhüllen bei einigen Objekten mittlerer Größe glatt gezogene Gipsplatten die keramischen Schichten von mehreren Seiten. Im äußersten Fall blieben ihre modellierten Oberflächen unentdeckt, würde nicht hier und da aus den abgeschirmten Kammern ein hellgelber Schimmer das Auge anlocken.

Die plastische und technische Verbindung von Ton und Gips überrascht, weil beide Stoffe in keramischen Werkstätten streng getrennt gelagert und verarbeitet werden. Hier aber, bei diesen Objekten, ergänzt das gipserne Weiß das meist gelbliche oder rötliche Ocker des gebrannten, unglasierten Tons zu einer verhaltenen Farbigkeit. Das stärkt den Vorrang der Tastqualitäten in der plastisch-räumlichen Konstruktion.

Spontan möchte die Hand die blank geriebenen Gipsflächen berühren, und die Fingerbeeren könnten zwischen ihren Kanten und Ecken gleitend hin- und hereilen, obwohl der Gips seine optische Homogenität beim Bearbeiten verloren hat. Deutet sich einmal unter einer dünneren Gipsdecke ein Tonrelief an, verlangsamt und verfeinert sich der Tastvorgang. Flüssige Streichbewegungen enden dagegen, sobald die Hand von den ebenen Gips- zu den Keramikteilen wechselt, deren noppige und zugleich schwingende Oberflächen ein behutsames, ausdauerndes Betasten verlangen.

Im Werkprozeß vereinfachte Objekt-Eigenschaften

Die raumbergende Funktion aller Gefäße, von der flachen Schale bis zur Kugelvase, ist Doris Kaiser seit ihren Anfängen als Keramikerin vertraut. Außerdem hat sie sich bereits in ihren frühen Studienjahren, anhand von beweglichen Modellen aus verschachtelten Kartons, mit der Analyse dynamischer Formzusammenhänge beschäftigt und folgerichtig später Skulpturen aus verschiedenartigem Plattenmaterial gebaut. Mit individuellen, runden Konturen oder Gruppen aus freieren Formen, die auf die durchbrochenen Reliefs von Hans Arp eigenwillig anspielen, hält Doris Kaiser sich bei einigen neueren Werken formal noch Spielräume offen. In den von ihr aktuell vorgestellten Arbeiten aber beschränkt sie sich auf klar strukturierte, rechtwinklige Flächenräume von gut überschaubaren Proportionen sowie auf die plastischen Kontraste zwischen starker Aufwerfung und vollständiger Glättung. In dieser Beschränkung hat ihre Skulptur inzwischen an Intensität gewonnen.

In jedem Werkprozeß werden die Tonplatten gleichmäßig gegen eine Auflage gedrückt und so verdichtet. Nach und nach streichen oder pressen die Fingerkuppen, ohne bestimmten Richtungen zu folgen, den weichen Stoff gegen eine feste Grundplatte oder in eine Kiste. Felder aus eng benachbarten Mulden und Buckel breiten sich schließlich nach allen Seiten aus, und der nahe Blick entdeckt sogar, wie die Poren und Partikel in der keramischen Haut von diesem unsteten, unentwegten Auf und Ab mitgeführt werden. Die in sich bewegten Plattengefüge kombiniert Doris Kaiser mit geplanten Gipsschichten. Bei der Montage wird der Gips meistens an die keramischen Teile angegossen, wiederum mit Hilfe kastenförmiger Verschalungen. Sind jedoch die Schichtholzplatten abgenommen, umfassen und sichern allein die hochempfindlichen Gipsteile die spröde Keramik; umgekehrt wird die bruchgefährdete Gipsschale von hinten oder innen durch die gebrannte Tonform gestützt. Das unverwechselbare Ergebnis ist eine Verbundschicht. Innendruck gegen kubische Grenzflächen.

Eine neue Idee von Skulptur, die nur aus Platten bestehen darf, verkünden die beiden russischen Konstruktivisten Naum Gabo und Antoine Pevsner 1920 in ihrem "Realistischen Manifest". Oft ist seither die radikale "Entmaterialisierung" des Kunstwerks gefordert worden, und schon seit Mitte der 60er Jahre befinden sich die titellosen leeren Kästen oder Gitterstrukturen der Minimal Art in Galerien und Museen. Diese aus Blech oder Schichtholz industriell gefertigten Objekte sollen einen "reinen" Dingcharakter zeigen, befreit von inhaltlichen Deutungen und spezifischen Funktionen. Ihren Platz können sie in jedem architektonischen Rahmen finden, der ihre Volumen und Proportionen voll zur Anschauung bringt. Dennoch läßt sich beispielsweise ein Objekt von Donald Judd als Inbegriff der heutigen Container-Technologie interpretieren, deren System auf der lückenlosen Reihung und Stapelung elementierter Transport-Behälter, ihrer bedarfsabhängigen Füllung und beliebigen Versendung basiert.

Die plastischen Objekte von Doris Kaiser stellen sich gleich denen der Minimal Art ohne Titel vor, in solch offener Deutung ihre Zeitgenossenschaft bekundend, vielleicht auch eine Festlegung scheuend. Die einfache kubische Gestaltung ihrer Objekte folgt allerdings keinem minimalistischen Konzept, wie es ein pauschaler Eindruck nahelegen könnte. Mit dem standardisierten Volumen eines leeren Containers hat die für Kaiser so charakteristische Verbundform aus Gips- und Tonschichten wenig gemein. Diese Unterscheidung schärft die Beobachtung der plastischen Struktur. Vor die in sich schwingenden Tonplatten treten selbst bei reliefhaften Objekten die glatten Gipsflächen. Ihre entschiedenen Grenzen erleichtern zunächst das Einschätzen der Lagebeziehungen zur jeweiligen architektonischen Umgebung. Als Raumgrößen noch besser erfaßbar sind die becken- oder gehäuse-artigen Objekte über ihre glatten, rechtwinklig angelegten Gipsmäntel. Ein aufmerksames Auge bemerkt aber noch etwas Bedeutsameres. Die verdichteten Oberflächen, besonders bei leicht gebauten Objekten, wirken aktiv und ambivalent. Gegen eine aufspannende Bewegung scheinen sie sich zusammenzuhalten. Eine schwebende Empfindung kommt im Betrachter auf, ausgehend vom keramischen Relief in der Rückwand oder den Innenwänden des Objektes, weil Doris Kaiser den Tonschichten mit ihren Händen einen "Druckzustand" eingegeben hat, der sinnlich spürbar vor und auswärts drängt.

Jeder plastisch gefaßte Impuls in und aus den Schalen der Konstruktion braucht ein klar überschaubares, maßlich bestimmtes Gefüge, um wahrnehmbar und erlebbar zu werden; und damit der ihnen innewohnende Schwebezustand räumlicher und emotionaler Strebungen gewahrt bleibt, nehmen diese präzisen Objekte mit ihren empfindlichen Stoffen alle denkbaren Gefährdungen auf sich.

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